Eine Nacht habe ich nun drüber geschlafen, immer mal wieder über die gestrige Situation, den Auslöser und die Konsequenzen nachgedacht. Einen wirklichen Reim kann ich mir immer noch nicht darauf machen. Es fällt mir einfach schwer zu glauben, dass das wirklich vor meiner Haustür passiert ist.
Eine alte mazedonische Nationalflagge, empörte Griechen, Drohungen, behelmter Blocksturm, Pfefferspray, Verletzte.
Wenige Worte, die nur erahnen lassen, was gestern Abend auf Schalke eigentlich passiert ist.
Aber der Reihe nach:
Gestern während des Spiels wurde in der Nordkurve eine alte mazedonische Nationalflagge gezeigt. Die Flagge, die zwischen 1992 und 1995 offizielle Flagge von Mazedonien, beinhaltet den sogenannten „Stern von Vergina“. Laut Wikipedia, hat Griechenland im Jahr 1995 für eben diesen Stern die exklusive und internationale Nutzung beantragt. Zur Klarstellung: Der Stern befindet sich auch auf der inoffiziellen Flagge der Region Makedonien in Griechenland. Genug Geschichte. Eben diese ist in meinen Augen für die gestrigen Geschehnisse auch völlig egal.
Laut Aussagen der griechischen Polizei und Vereinsvertreter von PAOK Saloniki versuchten diese den deutschen Ordnungskräften recht schnell deutlich zu machen, was der mitgereiste Grieche von dieser Fahne hält. Der Bericht der Polizei Gelsenkirchen beschreibt die Situation wie folgt:
Nach Aussage eines der griechischen Polizeibeamten handelte es sich bei dem Inhalt des Banners um volksverhetzende Tatbestände. Auch er selbst fühlte sich erheblich beleidigt und gab an, dass besagtes Banner u. a. schon für die erheblichen Ausschreitungen während des Spiels Rapid Wien gegen PAOK Saloniki im Jahre 2012 mit verantwortlich war. Die mehr als 2000 griechischen Fans drohten mit Blockstürmen, Spielfeldsturm und Spielabbruch. In einem solchen Fall wäre Leib und Leben zahlreicher, auch unbeteiligter Zuschauer gefährdet worden. Auch die griechischen Vereinsverantwortlichen forderten umgehend eine Entfernung des Banners. Frühzeitig wurden die Einsatzkräfte von griechischen Fans massiv bedrängt, tätig zu werden und das Banner entfernen zu lassen. Ansonsten wurden die oben beschriebenen Verhaltensweisen angedroht.
Wer nun erwartet hatte, dass sich die hiesige Polizei auf mögliche Auseinandersetzungen mit den griechischen Anhängern einstellte, irrte.
Als Reaktion auf die Informationen der Griechen marschierte die Polizei in die Heimkurve, um die Flagge anscheinend mit allen Mitteln zu entfernen. So schnell es geht, koste es, was es wolle.
Der Polizeibericht hierzu sagt dies:
Um eine unmittelbar bevorstehende Eskalation der Situation zu verhindern und die Sicherheit auch unbeteiligter Personen weiterhin gewährleisten zu können, wurde nach vergeblichen Versuchen durch Vereinsseite der unverzichtbare Einsatz von Polizeikräften zur Entfernung des Banners im betroffenen Block N beschlossen.
Hierzu möchte ich nicht verschweigen, dass angeblich versucht wurde, die Inhaber der Fahne dazu zu bewegen, die Fahne abzuhängen. Dies wurde verneint. Und das mit Recht. Laut den aktuellen Kenntnissen ist die Fahne in keinster Weise verboten und stellt vor allem nicht den Tatbestand der Volksverhetzung dar. Warum also abnehmen? Weil sich gegnerische Fans durch Aktionen in der Heimkurve provoziert fühlen könnten? Es ist immer noch Fußball.
Das Ende vom Lied war ein Einmarsch einer Hundertschaft in die Nordkurve. Und das, weil die Griechen mit Ausschreitungen drohten. Verkehrte Welt. Man kann zu Provokationen beim Fußball stehen, wie man möchte, aber hier wurden Grenzen der Staatsmacht überschritten. Verhaltensweisen an den Tag gelegt, die nach der Auffassung vieler nichts mehr mit einer Verhältnismäßigkeit zu tun haben. Gerne verweise ich in diesem Zusammenhang auf die Ausführungen von Thomas Wings zu diesem Thema: http://hoechststrafe.dorkawings.de/2013/08/polizisten-randalieren-auf-schalke/
Direkt nach dem Spiel meldete sich auch direkt der Verein zu Wort und verurteilte den „unterhältnismäßigen Einsatz“ der Polizei. Auch heute Mittag blieb der Verein bei seiner Meinung, was an dieser Stelle explizit gelobt werden sollte.
Kommen wir aber zurück zur Polizei. Ich zitiere noch einmal aus dem Polizeibericht:
Um eine unmittelbar bevorstehende Eskalation der Situation zu verhindern und die Sicherheit auch unbeteiligter Personen weiterhin gewährleisten zu können, wurde nach vergeblichen Versuchen durch Vereinsseite der unverzichtbare Einsatz von Polizeikräften zur Entfernung des Banners im betroffenen Block N beschlossen. Bereits bei Erkennen des beabsichtigten polizeilichen Einsatzes vermummte sich ein Großteil der Gelsenkirchener Ultras und unmittelbar bei Betreten des Blocks durch die Einsatzkräfte kam es zu Angriffen in Form von Schlägen, Tritten, Stichen mit Fahnenstangen, Becherwürfen etc. Zur Sicherung des polizeilichen Einsatzes und insbesondere zum Schutz der eingesetzten Kräfte war ein massiver Einsatz von Pfefferspray und Schlagstock notwendig. Das Banner wurde kurz vor Erreichen der Einsatzkräfte entfernt, weitergereicht und an anderer Stelle erneut gezeigt. Anschließend verschwand das Banner gänzlich und konnte nicht mehr sichergestellt werden. Nach Verschwinden des Banners entspannte sich die Situation bei den griechischen Fans schlagartig. Durch den Sanitätsdienst wurden ca. 30 Personen mit Augenspülungen versorgt.
Und hier rufe ich mir noch einmal den Grund für die Einmarsch der Polizei in Erinnerung: Man wollte eine Eskalation auf Seiten der Griechen verhindern! Unbeteiligte sollten geschützt werden.
Doof nur, dass man eben diese Eskalation auf Seiten der Heimfans billigend in Kauf nahm. Zig Verletzte sind der Beweis dafür. Und das wegen einer alten Landesflagge, die noch nicht einmal verboten ist. René Lau, unter anderem Mitglied in der „Arbeitsgemeinschaft Fananwälte“, sieht den angeblichen Tatbestand der Volksverhetzung als nicht erfüllt an.
Was bleibt also: Viel verbrannte Erde. Wut auf die Polizei, der das Wort „Entschuldigung“ einfach nicht über die Lippen kommt. Stattdessen unseriöse Interviews und ein Polizeibericht, der unfassbar erscheint.
Mir steht es nicht zu, über Recht und Unrecht zu entscheiden. Aber eine Sache erscheint mit nun sicher: Gestern wurde eine Grenze in Sachen Polizeieinsätzen beim Fußball überschritten. Der einzige Trost ist, dass es vor einem Millionenpublikum passiert ist. Zum ersten Mal, seitdem ich zum Fußball fahre, steht die Polizei und Ihr Verhalten in der Kritik. Selbst bei Verein und Presse.
Es bleibt allen Betroffenen zu wünschen, dass sich dies nicht ändert. Sollte sich das Stimmungsbild bei Verein oder Presse drehen, sind ähnlichen Aktionen in Zukunft Tür und Tor geöffnet. Von Konsequenzen für die Fans von gestern Abend mal abgesehen.
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