Für ein paar Tage war es ruhig am Schalker Markt. Der neue Trainer hinterließ einen guten ersten Eindruck und die Medienlandschaft kümmerte sich mehr um die Nationalmannschaft, als nach Skandalen auf Schalke zu suchen. Es war also wirklich angenehm ruhig, wäre da nicht Clemens Tönnies.
Der Aufsichtsratsvorsitzende des S04 wird in einem Artikel des Westfalen Blattes zitiert und nimmt sich dem wohl heißesten vereinspolitischen Eisen des FC Schalke 04 an: Die Ausgliederung der Profiabteilung aus dem eingetragenen Verein.
Gegenüber dem Westfalen Blatt sage Tönnies folgendes:
Auf die Frage, ob es eine Schalke AG geben wird, um mithalten zu können: „Wir werden genau beobachten, wie sich die Liga verändert. Etwa wenn Red Bull Leipzig als weiterer, ganz starker Akteur auftritt.“ Schalke müsse sich womöglich bald die Frage stellen, welche Schlüsse aus der Entwicklung zu ziehen sind. Tönnies: „Wenn wir uns mit Bayern, Dortmund, Red Bull, Leverkusen oder Wolfsburg vergleichen, sind wir der letzte Dino, der ein Verein ist. Wir müssen das beobachten und dann sehen: Haben wir Handlungsdruck das zu verändern?
Die Reaktionen in den sozialen Netzwerken und diversen Blogs waren schnell da und hatten sich eigentlich auch bis gestern Nachmittag nicht beruhigt. Hier wurde auch im Feuereifer der Nachsatz von Tönnies überlesen bzw. nicht wirklich zur Kenntnis genommen:
Das müssen dann jedoch die Mitglieder entscheiden, nicht Clemens Tönnies. Ich liebe diesen Verein so, wie er ist.
Trotz dieses Nachsatzes macht mich der Artikel bzw. die Aussagen wütend. Ich kann mich an kein Interview mit Clemens Tönnies in den letzten Jahren erinnern, welches nicht für Furore und Diskussion gesorgt hat. Irgendwer muss diesem Mann doch mal bitte freundlich aber bestimmt mitteilen, dass seine öffentlichkeitswirksamen Aussagen einschlagen wie Bomben und noch mehr Unruhe in den Verein bringen. Ja, der Herr ist Aufsichtsratsvorsitzender, aber allein aus Selbstschutz sollte man Tönnies mal die Tragweite seiner Interviews vor Augen halten.
Und doch, so unpassend der Zeitpunkt der Aussage wieder einmal ist, Clemens Tönnies hat nicht unrecht. Als wir im vergangenen Jahr das Thema e.V vs. Ausgliederung diskutiert hatten und der Verein eine wirklich polemische Klarstellung und Bekenntnis zum e.V. auf der Homepage veröffentlich hat, war die Zeit noch eine andere. Auch wenn es gerade einmal ein paar Monate her ist.
Der Aufstieg von Red Bull Leipzig in die zweite Liga hat dem Thema eine neue Dynamik und eine neue Wendung gegeben.
Bitte nicht falsch verstehen: Ich persönlich sehe einen e.V. mit Mitgliedereinfluss als weitaus wichtiger an, als jeglichen sportlichen Erfolg. Und doch wird irgendwann auch auf Schalke die Zeit kommen, in der wir uns dieser Diskussion stellen müssen.
Es ist eigentlich vorhersehbar und am vergleichbaren Beispiel des HSV zu sehen, wie sich diese Geschichte entwickeln wird: Diese Zeit wird dann gekommen sein, wenn der Verein vielleicht nur noch maximal um Platz 11 spielt. Dann wird man sich auch auf Schalke die Frage beantworten müssen, welches Selbstverständnis und welchen Anspruch der Verein wirklich hat.
Bleibt der sportliche Erfolg aus, wächst die Kritik an der Vereinsführung. Irgendwann wird die Vereinsführung das Thema Wettbewerbsvorteil der anderen Clubs aufgrund der größeren finanziellen Mittel durch die Ausgliederung als Totschlagargument nutzen müssen, um sich selbst aus der Schusslinie zu bringen. Erst wird es dann heißen, dass das System kaputt ist und dann wird es darum gehen, dass man den Weg ja mitgehen muss, um wettbewerbsfähig zu bleiben.
So wird es sein und die Argumentation haben wir auch schon zuhauf gehört. Trotzdem lasse ich sie nicht uneingeschränkt gelten.
Sie entlässt die Vereinsführung nicht aus der Verantwortung, sich alternative Möglichkeiten zur Vermarktung des Vereins zu suchen. Mit dem e.V. hat der Verein ein Alleinstellungsmerkmal. Eine Situation die auch Möglichkeiten und Chancen bietet, sich von anderen Vereinen abzuheben. Man kann sich positionieren und ggf. sich anderweitig bietende Potentiale ausnutzen. Unkonventionell ist das Stichwort. Gepaart mit einer, seit Jahren angekündigten, aber immer verpatzten, soliden Finanzpolitik, die vielleicht auch mal Rückschläge verkraftet könnte man aus Schalke wirklich etwas Einzigartiges machen.
Aber diese Situation führt auch zu einer Pflicht der Fanszene. Wenn der e.V. als heilige Kuh betrachtet wird, muss man wohlmöglich an anderer Stelle Kompromisse eingehen. Ungeliebte Sponsoren, windige Vermarktungspartner, höhere Eintrittspreise.
Denn sind wir ehrlich, ohne zusätzliche Einnahmen wird der sportliche Erfolg ausbleiben. Und eins sollte jedem klar sein: Für die Fanszene mag der sportliche Erfolg in diesem Zusammenhang vielleicht zweitrangig sein, dem Gros der Mitglieder ist das aber nicht.
Also wird man nicht um Kompromisse herumkommen. Ansonsten steht man schneller vor der Diskussion der Ausgliederung als einem lieb ist. Und wie schnell sportlicher Misserfolg die Stimmung zugunsten einer Ausgliederung führen kann, haben wir nun wirklich deutlich genug beim HSV gesehen.
Clemens Tönnies hat, warum auch immer, das Thema Vereinsform zum jetzigen Zeitpunkt auf den Tisch gebracht. Die daraus entstandene Welle hat mich dann noch einmal daran erinnert, wie wichtig der vernünftige, offene und vor allem ehrliche Austausch aller Beteiligten bei der Diskussion um dieses Thema sein wird. Die Vereinsführung ist aufgrund der Beschlüsse auf der letzten JHV dem Verein und den Mitgliedern gegenüber in der Pflicht, die Vereinsform weiter beizubehalten. Alles andere wäre Wortbruch.
Die Fanszene darf aber nicht vergessen, dass auch sie in der Verantwortung ist. Einen Verein mitgestalten heißt in diesem Fall auch, den handelnden Personen die Möglichkeiten zu geben, den Verein finanziell und sportlich vernünftig aufzustellen.
Die Verantwortung ist also gut verteilt. Wie ich mir das bei einem eingetragenen Verein so vorstelle.
Deine Aussage, daß du die Organisationsform über den Erfolg stellst, wird noch mal auf dich zurück kommen. Musste ich mir auch anhören.
Die Frage, wann die Mitglieder unruhig werden stellt sich bei Schalke doch gar nicht, oder 😉
Wichtig dabei ist aber: wieviele Mitglieder sehen die Identifikation mit dem Verein so wie du. Beim HSV waren es leider weniger als 25%+1 Stimme zu wenig
Ja, die Aussage ist gewagt, trotzdem stehe ich dazu.
Ich kenne mich mit dem HSV zu wenig aus, um die Mitgliederstrukturen miteinander vergleichen zu können. Auf Schalke wird aber im Umfeld viel gemeckert, auch stark beeinflusst durch die Presse. Auf den JHVs war es aber bisher immer so, dass bei derartigen Entscheidungen immer die aktive Fanszene punkten konnte und sich am Ende durchgesetzt hat. Siehe Viagogo.
Trotzdem kann es natürlich sein, dass es auch bei uns anders kommt. Vor allem, wenn der Verein die Propaganda-Maschine anwirft.
Viagogo haben wir auch verhindert.
Aber: Es muß einen großen Kern geben, dem die Mitbestimmung im Verein wichtig ist, ansonsten wird das nichts.
Was mir persönlich bei der (oftmals) eindimensionalen Betrachrung von „Phänomenen“ wie RBL etc. fehlt: Diese Clubs nutzen einen Nische aus, diese Nische ist schlichtweg und einfach der Schwäche der sogenannten „Traditionsclubs“ geschuldet. Traditionsclubs die ein unglaubliches Potenzial und Humankapital haben, jedoch geführt werden wie kleine Karnevalsvereine…alleine das Ruhrgebiet ist übersät mit diesen. Am Ende investieren Clubs wie RBL zunächst einmal nicht nur viel Geld in Beine, sondern vor allem auch in prof. Stukturen….
Es mag sein, dass der Standort Leipzig gut gewählt ist und die Entwicklung deswegen so rasant abläuft. Trifft dies aber auch bei anderen Projekten zu? Wolfsburg? Ingolstadt? Eher nicht.
Ich würde sogar einen Schritt weiter gehen und noch nicht einmal die Vereine kritisieren, die sich so aufstellen. Eher die Institutionen, die nicht in der Lage sind, die 50+1 Regel vernünftig durchzusetzen. Wenn es diese Regel gibt, sollten die Statuten auch klar befolgt werden.
Ich gehe eher davon aus, daß die 50+1 Regel irgendwann gekippt wird, muß nur mal jemand bis zum EUGH klagen.
Lesenswerter Beitrag! Die Entwicklung wird spannend bleiben! Aber, was ich mich immer frage, welchen Vorteil bringt denn eine KGaA oder AG gegenüber einem e.V., außer das man zunächst einmal EINMALIG Geld durch Verkauf von Anteilen generieren kann?! Das Geld wäre bei uns vermutlich genau so schnell verbrannt, wie es die nicht gerade kleinen Summen aktuell auch schon sind. Übersehe ich andere monetäre Vorteile? Falls ja, klärt mich bitte auf! Danke!